Eine Gretchenfrage unserer Zeit treibt Schreibende und Verlage derzeit gleichermaßen um: Wie haltet ihr es mit dem Gendern? Denn natürlich möchten wir nicht 50 Prozent der Menschen von vornherein ausschließen, die als Zielgruppe für ein Buch infrage kommen. Das ist aber schnell passiert, denn Deutsch ist rein linguistisch gesehen eine »highly gendered language«. Das generische Maskulinum ist dominant und beeinflusst massiv unsere Gedanken und Vorstellungen von der Welt. Menschen werden ausgeschlossen, ob wir es wollen oder nicht. Daher braucht es eine genderinklusive Sprache. Die gute Nachricht: Mit ein bisschen gutem Willen und Bewusstsein kommt diese meist ohne Genderzeichen aus und klingt dabei auch noch ganz natürlich. Dadurch gelingt es, dass sich alle angesprochen fühlen und nicht nur halbherzig »mitgemeint« sind. Also besser gendern? Auf jeden Fall!
Es ist immer wieder faszinierend, wie markig auftretende, häufig Dialekt sprechende und für derbe Sprüche bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft plötzlich scheinbar ihre Liebe zur Reinheit der deutschen Sprache entdecken. Schnell ist von Verboten in allerlei Richtung die Rede. Ein meinungsfreudiger Ministerpräsident spricht beispielsweise davon, dass er verhindern werde, dass es ein Verbot gibt, so zu reden wie man es bisher gemacht habe. Ihm gelingt das Kunststück, das gleich mit der Forderung zu verbinden, »das Gendern« ganz zu untersagen.
Es ist gar von einer Spaltung der Gesellschaft die Rede, die dadurch verhindert werden soll. Die Idee scheint zu sein: Wenn wir mindestens die Hälfte der Gesellschaft gar nicht erst ansprechen, brauchen wir auch keine Spaltung zu befürchten. Man(n) bleibt unter sich.
Genderinklusive Sprache lässt sich nicht verbieten
Viele reden von einem Genderverbot. Was genau damit gemeint ist, bleibt häufig unklar. Die einen meinen lediglich das Genderzeichen. Andere wehren sich grundsätzlich gegen eine genderinklusive Sprache und wollen einfach keine sprachlichen Gewohnheiten infrage stellen. Aber lässt sich eine genderinklusive Sprache überhaupt verbieten?
Tatsächlich ist Sprache von je her Veränderungen unterworfen. Sie bildet den Zeitgeist, das Bewusstsein und die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und Milieus ab. Damit ist Sprache identitätsstiftend und bewusstseinsprägend. Heute zeigt sich unsere Gesellschaft so bunt und vielfältig wie nie zuvor. Die Rolle der Frauen hat stark an Bedeutung gewonnen, auch wenn es hier immer noch viel zu tun gibt. Frauen verdienen ebenso wie non binäre Personen einen sichtbaren Platz in unserer Gesellschaft. Dazu kann und muss die Sprache einen Beitrag leisten.
Es ist daher nur folgerichtig, dass die Sprache diese Veränderungen abbildet. So ist es beispielsweise gewollt, gewünscht und dringend erforderlich, dass mehr Mädchen und junge Frauen sich für Ingenieurswissenschaften, Physik und Informatik interessieren. Die Sprache gibt ihnen aber bis heute sehr einseitige Rollenbilder vor, wenn einerseits von Kindergärtnerinnen oder Erzieherinnen, Krankenschwestern oder Kindermädchen die Rede ist, die Tätigkeit von Ingenieuren, Physikern und Informatikern aber rein sprachlich weiterhin als Männersache daherkommt – allen Bekundungen zum Trotz, dass die Mädchen doch ausdrücklich mitgemeint seien.
Es ist höchste Zeit, dass auch die Sprache die veränderte Realität unserer Gesellschaft abbildet und von geschlechterrollenbasierten Vorurteilen abrückt. Das gebietet die Chancengerechtigkeit. Vermeintliche Genderverbote sind dagegen verzweifelte Versuche, überkommene Machtstrukturen zu zementieren. Nach dem Motto: »Das haben wir immer so gemacht, daran werden wir nichts ändern«.
Zum Glück sind diese Versuche auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Sie sind es jetzt schon, denn eine genderinklusive Sprache lässt sich nicht verbieten. Verboten ist in einigen Landesbehörden und Schulen lediglich das Genderzeichen. Und das braucht es nicht unbedingt. Es reicht ein wenig guter Wille, ein wachsendes Bewusstsein und etwas Übung.
Niemand wird zum Gendern gezwungen
Es wird übrigens auch niemand zum Gendern gezwungen. Es gibt kein Gesetz, keine Verordnung und keine Richtlinie, die so etwas vorsieht. Es gibt lediglich Leitfäden, die sich Unternehmen und Behörden selbst gegeben haben. Der vermeintliche Genderzwang ist reine Polemik, um sich ja nicht der Debatte stellen und bloß keine Veränderung im eigenen Sprachgebrauch vornehmen zu müssen. Aber eine Sprache, die sich nicht mehr ändert, ist eine tote Sprache.
Alle Schreibenden sind daher gut beraten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die meisten Verlage machen hier noch keine festen Vorgaben. Wünschenswert wären allerdings Leitlinien und Formulierungshilfen für die schreibendende Zunft in Bezug auf eine genderinklusive Sprache. Auf jeden Fall ist es für alle an der Zeit, eine Antwort auf die Gretchenfrage nach dem Gendern finden. Denn ignorieren lässt sich die Frage heute definitiv nicht mehr.
Auf Dauer wird ein Disclaimer zum generischen Maskulinum, bei dem alle anderen ausdrücklich mitgemeint sind, nicht ausreichen. Im Moment nutzen noch viele Verlage diese Zwischenlösung, abhängig von der persönlichen Entscheidung ihrer Autor*innen. Immerhin zeigen sie damit, dass es ein Bewusstsein für einen sensiblen Umgang mit Sprache braucht. Aber meines Erachtens reicht das nicht mehr. Dennoch: Von einem Zwang kann keine Rede sein. Eine »Sprachpolizei« gibt es nicht und wird es nicht geben.
Wie eine genderinklusive Sprache gelingt
Es wird nicht überraschen, dass dieser Beitrag durchgängig eine genderinklusive Sprache verwendet. Das generische Maskulinum kommt hier nicht vor. Ganz ehrlich: Liest er sich deshalb komisch? Das Genderzeichen wird sehr sparsam verwendet und fällt doch eigentlich kaum auf. Das Zeichen braucht es nämlich meist überhaupt nicht.
Oft ist es mit etwas Überlegung gar nicht erforderlich, das Geschlecht überhaupt zu benennen. Denn häufig spielt es im Sinnzusammenhang gar keine Rolle. Ein Satz wie »Eine aktive Mitarbeit jedes einzelnen wird vorausgesetzt« hat ohne Benennung der Person denselben Inhalt: »Eine aktive Mitarbeit wird vorausgesetzt«. Die Aussage des Satzes ist dieselbe, alle sind gemeint. Und er ist sogar ein bisschen kürzer.
Wird ein Geschlecht konkret angesprochen, verwenden viele schon die sogenannte Beidnennung oder Paarform, indem sie das Männliche und Weibliche benennen. Gerade bei längeren Texten und erst recht bei Büchern ist es aber auch völlig in Ordnung, beide Geschlechter abwechselnd zu verwenden, wenn es auf das Geschlecht selbst nicht ankommt. Also mal »Leserin« und an anderer Stelle »Leser«. Wichtig ist dabei zu beachten, dass sich nicht wieder Stereotype einschleichen. Also gerne mal eine Bauingenieurin nennen und an anderer Stelle vielleicht einen Krankenpfleger oder Erzieher, wenn es um eine reine Sachinformation geht und das konkrete Geschlecht der Berufsbezeichnung nicht relevant ist.
Geht es in einem Text beispielsweise um Schutzkleidung, spielt das biologische Geschlecht keine Rolle. Dann trägt die Polizistin eine Weste, der Laborant eine Schutzbrille und die Ärztin einen Kittel. Ein Zahnarzthelfer kann eine Maske tragen, und die Bauleiterin hat einen Helm auf. Das Prinzip ist einfach, aber wirkungsvoll. Denn es verändert etwas in unserer Wahrnehmung.
Auch die Partizipialform wie »Lesende«, »Schreibende« oder »Mitarbeitende« setzt sich zunehmend durch und klingt in vielen Ohren schon gar nicht mehr ungewohnt. Aber Achtung: Die Partizipialform funktioniert nur im Plural. »Der Lesende«, klingt irgendwie gegendert, ist aber nicht genderneutral durch den Artikel. Überhaupt ist im Plural schreiben oft eine sehr gute Möglichkeit, genderinklusiv zu formulieren. Aus „man“ oder „einer“ werden „Alle“.
Mit etwas Überlegung lassen sich auch zahlreiche gender-neutrale Formulierungen finden. Mit der Zeit werden auch die zur Gewohnheit. Aus dem Geschäftsführer wird dann beispielsweise die Geschäftsführung und aus den Krankenschwestern das Pflegepersonal.
Alle diese Formulierungen ermöglichen eine unverkrampfte, genderinklusive Sprache, oft ohne Genderzeichen. Nur in wenigen Fällen dürfte eine solche Sprache zunächst noch ungewohnt klingen. Das gibt sich aber mit der Zeit. Wir brauchen uns daher wirklich keine Sorgen um die Sprache des Landes der Dichter und Denker zu machen. Im Gegenteil: Sie bietet alles, was unsere Zeit benötigt. Und: Sie lebt!
Manchmal kann ein Genderzeichen hilfreich sein. Der Blinden- und Sehbehindertenverband und die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit in der Informationstechnik empfehlen das Sternchen, und es ist wahrscheinlich die am weitesten verbreitete Darstellungsform. Einige verwenden den Doppelpunkt. Das Binnen-»I« ist weniger empfehlenswert, da es non-binäre Personen nicht mit einbezieht.
Besser Gendern!
Deutsch ist eine so genannte »highly gendered language«, weil wir im Deutschen kaum über Menschen sprechen können, ohne ihr Geschlecht zu nennen. Damit entstehen auch unbewusste Vorstellungen von konkreten Personen, die etwas Bestimmtes tun oder auch nicht tun. Die Sprache erschafft prägende Rollenbilder, insbesondere in den Köpfen junger Menschen, und schließt weite Teile der Bevölkerung aus, wenn das entsprechende Bewusstsein im Umgang mit ihr fehlt.
Wenn wir in Zukunft viele Ingenieurinnen, Physikerinnen oder Ministerpräsidentinnen haben und die ganze Vielfalt der Talente nutzen wollen, brauchen wir einen sensibleren Umgang mit unserer Sprache. Ihre Schönheit wird sicher nicht darunter leiden. Im Gegenteil: Wir können alle Facetten der deutschen Sprache ausschöpfen. Es braucht lediglich etwas Übung und guten Willen.
Schon in wenigen Jahren wird unsere Sprache anders klingen als heute: Inklusiver, diverser und sensibler. Dann sind alle mitgemeint und auch sichtbar. Fangen wir also gleich an zu üben: Besser gendern, jetzt!